Christoph Tannert: Rede zur Ausstellungseröffnung Ute Gallmeister, Remise degewo, Berlin-Pankow, 24.02.09

Ich staune über diese Ausstellung, ihr Anfang ist ein gleichbleibender, erdtoniger, wärmender Klang. Ich staune über diesen malerischen Fries einer jungen Künstlerin, die erst ab 2003 freiberuflich arbeitet und doch schon solch ein beachtliches Werk zu präsentieren in der Lage ist.
Ihr gefühlter Anstoß für jede künstlerische Entscheidung, ihr Suchen und Wollen, ihr Handwerk und sein Gedanke ziehen malerische Parallelen aus jedem Objekt.
Die Schatten der Gegenstände und das Gesehene, Empfundene und Vorgestellte schaffen Bilder an sich und zugleich etwas Neues in einer Bildsprache, die sinnlich ist, wuchernd und reich, gegliedert in dieser Ausstellung durch große und kleine Formate, die zueinander schwingen, sich aufeinander beziehen und sich dialogisch verhalten in sanftem Olivgrün bis Felsgrau, pointiert durch signalhafte Akzente.
Diese Bilder verweisen auf nichts, was außerhalb liegt, nur auf sich selbst – und werden doch gespeist aus Vielerlei: aus lockender Fremde und Behaustheit durch das Eigene, dem Licht und den Landschaften des Südens, gleichzeitig auch aus den familiären Erfahrungen, aus Natur und der Natur des Zwischenmenschlichen, aus Kunst, aus erquickender Leere und Fülle, aus der Andeutung, dem Ungefähren und Zarten.

Ute Gallmeister zeigt Malerei auf Leinwand und Papier und dazu in einem wunderbaren Kabinett einige Zeichnungen, die es wahrlich in sich haben.
Das Gezeigte entstand zwischen 2004 und 2009. Wir sehen also tatsächlich das, was sich künstlerisch entwickelt hat bei Ute Gallmeister. Als Resümee könnte man sagen: das Bei-sich-bleiben ist die Triebfeder ihres Schaffens. Für manche mag das ein Widerspruch in sich sein. Wie will man vorankommen und gleichzeitig wurzeln? Meine Antwort lautet: Ute Gallmeister schafft es, ihr Werk zu entwickelt, indem sie in sich forschend in die Tiefe geht. Sie arbeitet langsam und zeitintensiv. Was sich verändert, schiebt sich fast unmerklich aus dem Heute ins Morgen, in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, relativ zueinander. Was dabei an Bruchlinien entsteht, spiegeln die Bilder selbst wieder: ein feines Gespinst von Linien, Kanälen, Gräben gleich, markiert etwas, was ich Konvektionsstrom nennen würde – ein anhaltender Strom von Energie, von Wärme, aus dem sie Hoffnung schöpft und in den hinein sie sich selbst verströmt.
Es kann vorkommen, dass die Künstlerin auch die Energieströme Anderer aufnimmt, etwa ihres neunjährigen Sohnes Emil wie in „Unterirdisch“ oder auch Anregungen Behinderter, mit denen Ute Gallmeister seit 2003 1x pro Woche arbeitet. Sie schätzt deren pure Gestaltungskraft. Kinder sind von Natur aus kreativ. Für Kinder ist Kunst kein Produkt, sondern eine Auseinandersetzung mit ihren Erlebnissen, ihren Gefühlen und ihrer Umwelt. Gleichzeitig schärft die künstlerische Tätigkeit, das Erschaffen mit den eigenen Händen und schon bei kleinen Kindern den Blick nach innen.
Dieses Innenerlebnis, dieses Ertasten der eigenen Basis, dieses Markieren eines Ausnahmezustandes durch ein Bild ist das, was wir als Verstehende auch hier in der Ausstellung aufnehmen dürfen: Sommerliche Ferne, zerstreute Schritte, „Hängende Formen“, Heimsuchungen, Einkehr, Heimkehr.

Ute Gallmeisters Bilder handeln vom Sehen und vom Blick nach innen. Es ist nicht der schnelle, flüchtige Blick, mit dem man die Qualität dieser Bilder und Zeichnungen wahrnimmt. Es ist das Auge, das Zentimeter für Zentimeter Farben, Linien und Flächenverhältnisse abtastet, so als ginge man daran, eine Schrift zu lesen. Nicht umsonst heißt eines der Bilder „Marokkanisch, Skript auf schwarzen Formen“.
Im sehenden Tasten bewegen wir uns in Räume und Zustände hinein, vergleichbar einer endlosen Landschaft, in der sich das Auge zu verlieren droht, wären da nicht die Linien, die wie aufgeschrieben diese Landschaften prägen. Das, was auf den ersten Blick aussieht als befände es sich im Übergang wird zum markanten Zeichen. Es beschreibt nichts, außer sich selbst und schenkt uns, dem betrachtenden Auge damit eine unglaubliche Weite, auch Herzenserweiterung, Horizontweiterung, die zu füllen und mit der umzugehen uns aufgetragen wird.
Machen Sie sich auf den Weg!
Links von mir hängt „Lichtes Orange“, eine Farbquelle wie ein Gedicht. Die eigene ausgeprägte Logik macht ihn poetisch. Und fordert vom Betrachter Klanggefühl und auf der Zunge eine Südfruchterfahrung.
Einen Schritt weiter sehen Sie „Linien auf Grau (nach Basquiat)“ – eine Auseinandersetzung mit dem berühmten amerikanischen Street-Art-Künstler, dessen zunehmend ruppige Verdichtung seines ungebärdigen Werkes ihn mit Hilfe von Andy Warhol bis ins Museum führte. Ein weiteres Bild, das Zwiesprache mit der Kunst hält, ist „Nach Kunisada“, das Einmünden ins Eigene nach einer Anregung durch einen japanischen Holzschnitt des 19. Jahrhunderts.

Es ist Ute Gallmeister nicht daran gelegen, eine Formsprache als Erkennungsmerkmal zu installieren und zu deklinieren; vielmehr setzt sie immer wieder neu an. Aus dem Momentanen und Spielerischen entwickeln sich labile Gleichgewichte, gerade in den Zeichnungen auf der Galerie, deren pointierte Elemente ihren Halt durch ihre Lage auf dem Papier bekommen, welches zu einem vielfältig bestimmten Grund wird.
Wenn man Gallmeisters Zeichnungen sieht, sieht man ihre Bilder neu. Also kommen sie auch wieder von der Galerie herunter!
In den Zeichnungen mit Feder, Tusche und Bleistift, auf Doppelseiten aus Zeichenbüchern od. vom Spiralblock, wo Löcher Teil des Ganzen sind, auf hellem und dunklem Packpapier,
weißem und braunem Papiergrund oder bezeichnetem Transparentpapierausriss herrschen Freiheit, Rhythmus und Spannung gleichermaßen. Was zu sehen ist – als Linie, Kurve,
Gewöll oder Kontrapunkt – zielt nicht darauf, eine Vorstellung von abgeschlossener, ewiger Harmonie zu evozieren, sondern es zeigt sich als Spezifikum eines von Prozessen bestimmten Ganzen, in das die Künstlerin fröhlich „hineingärtnert“. So wie die Entdeckung der Welt nicht zwangsläufig in einem Überblick, sondern durch den Mikrokosmos an der Peripherie stattfindet.