Halina Rasinski, Rede zur Ausstellungseröffnung Ute Gallmeister, 2009

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Ute,
ich begrüße Sie herzlich zu der Ausstellung. Ich komme aus Berlin, wo Ute Gallmeister studiert und auch eine zeitlang gelebt hat. Dieser Stadt, die sie also geprägt hat, auch und gerade in ihrer Kunst.
Ich kenne ein wenig von der Kunst ihrer Lehrer und Mentoren, die Weiten von Weiß von Achim Niemann, die Zeichnungen von Dieter Goltzsche. Man erkennt in Ute Gallmeisters Bildern diese konsequenten Striche, einen bestimmten Blick, ihre Berliner Schule.

Was sie mit ihnen verbindet ist eine geistige Haltung. Es geht um eine Nüchternheit und Schlichtheit der Betrachtung, die eine besondere Art von Wahrheit „produziert“. Eine Wahrheit, die die Welt nicht idealistisch verschönt, sondern die akzeptiert, dass sie unperfekt ist, manchmal improvisiert, manchmal traurig, aber auch schön.
Eine Wahrheit, die sich individuell und musikalisch gestaltet und individuell wahrgenommen wird. Linien sind in einem „musikalischen Maß“ (Dieter Goltzsche) zueinander und zum Bildrand bezogen. Sie sind wie Notationen einer Welt in Bildern geschrieben. So sollte man diesen Bildern eher zuhören, als sie zu verstehen.

Manche Linien von Ute Gallmeister sehen in ihrem Rhythmus aus wie Instrumente, andere sind eher Körper, Tanzende, sich Liebende. Es sind Momentaufnahmen, Stücke, die wie Musik schon vergangen sind, wenn man sie fassen will.
Die Bilder scheinen leicht zu sein wenn sie hier so hängen, aber wie beim Tänzer entsteht dies nur durch ihre Schwere, die Schicht für Schicht gewachsen ist, immer wieder zerstört, immer wieder sich neu erhebend um dann zum Sprung anzusetzen.

Sie sind sozusagen der Sprung, den wir hier heute Abend erleben dürfen. Der Moment in dem sich der Körper abhebt und mit dem Geist verbindet. Der Moment in dem die Welle an ihrem höchsten Punkt stehen zu bleiben scheint und doch schon wieder vergangen ist. Ich möchte ein Zitat von Dieter Goltzsche anführen.

„Die Art oder Anzahl der Striche auf einer Zeichnung oder Graphik sind nicht der Anlaß zu dieser Zeichnung oder Grafik, sondern etwas Erleb-nismäßiges, Vorangegangenes, was wir als hinter den Gegenständen liegend zu begreifen scheinen. Die Art oder die Anzahl der Striche ist nur identisch mit uns selbst.“ (Dieter Goltzsche 1976)

Der Zuschauer wird so zum Mitspieler, ihm wird ebenfalls nichts erklärt, sondern gezeigt. Es ist ein demokratischer Geist in dieser Kunst, der auffordert, mit zu denken.
Unbeachtetes, wie das Muster auf einem Fußboden bekommt eine Stimme, Details, die sonst keinen Platz in der Wahrnehmung haben, dürfen hier auftreten. Diese Bilder sind abstrakt, aber nicht unkonkret. Sie bieten einen Kosmos an, dem man sich vertrauensvoll hingeben kann, Türen, durch die man getrost in neue Welten, Träume und Landschaften gehen kann.

Aber die Farben, die sich wie ein Grundton durch Ute Gallmeisters Bilder spielen haben etwas Gegenläufiges Sie haben mich anfänglich verwundert, fast empört. Sie heben die Prinzipien der Logik auf. Sie sind emotional, manchmal aufgebracht rot, dann wieder tief und verschwiegen blau. Vielleicht sind sie weiblich, aber wer würde einer Farbe schon ein Geschlecht geben.

Als ich im Herbst zu einem Gespräch zu ihr mit dem Zug gefahren bin, habe ich einiges wieder erkannt. Das Grün der Wälder, die satten Farben der Felder während ihres letzten Auftritts vor dem Einbruch des Winters. Alles schon etwas verhalten, der Himmel groß und grau, setzten sich diese Farben doch deutlich ab, als würden sie einen Teppich knüpfen, der ausgelegt wird um das Meer zu begrüßen.
Ute Gallmeister ist in Rostock geboren und lebt nun in Anklam und bei allen Umzügen und Veränderungen war das Meer immer im Hintergrund. Das Blau, das Ruhe stiftet, Freiheit verspricht und den Kopf klärt. Es taucht immer wieder in den Bildern auf.

Aber es kommen noch weitere Töne dazu, die durch Reisen z.B. nach Tunesien und Frankreich entstanden sind. Die Bilder sind also international, sie überwinden die Sprache und verknüpfen Kulturen. Sie sind Diplomaten und Entdecker und bringen Wärme in die frühen Nächte des Winters / Mecklenburg Vorpommerns.

Die Bilder tragen so eine tiefere Geschichte in sich, sie sind schon ein Stück Vergangenheit. Da ist ein zartes lila wie ein Schatten, ein heftiges rot wie eine starke Erinnerung. Dann sehen die Striche aus wie Wegstrecken, die zurück gelegt wurden, einzelne können wie ein vorbeifahrender Zug nur noch als Linie, nicht mehr als Moment wahr genommen werden. Wie kleine Poeme stehen sie vor dem großen Entwurf der Welt.
Manchmal scheint es, dass die Figuren die Weite nicht durchdringen können, als wäre die Natur zu groß, als könnte es nicht ein einheitliches Leben geben. Aber Ute Gallmeister gräbt ihre Furchen, ihren Widerstand in diese Vielschichtigkeit. In ihrem Atelier, mit einer kleinen Zeichnung von Hokusai an der Wand, mit den Bildern ihrer Kinder und den Fotos von Bewohnern aus umliegenden Dörfern mit denen sie arbeitet, wird hier alles in das Orchesterstück ihrer Werke eingebunden und klingt wie kleine Soli in der Partitur des Lebens.
Dabei verwirklicht sie ihre eigene Wahrheit. Man könnte es einen oppositionellen Geist nennen, in jedem Fall ist es ein tief demokratischer und so möchte ich noch eine Definition von Demokratie anführen, die mit Politik nicht unbedingt zu tun hat.

„Die Demokratie beim Wort nehmen, heißt das Individuum ernst nehmen. Seine Macht, immer abweichend denken zu können und immer anderes zu wollen.“ (Flores d’Arcais 2004)
Die Bilder von Ute Gallmeister sind nicht unbedingt politisch, aber sie lassen sich nicht unterordnen, sie erheben ihre Stimme und bleiben wie eine schöne Melodie die man nicht mehr vergisst. Hiermit wünsche Ihnen einen wunderschönen Abend.

Halina Rasinski, Rede zur Ausstellungseröffnung Ute Gallmeister, Galerie Im Kloster, Kunstverein Riebnitz, 29.11.2009