Der Mond im Schatten deiner Haut – Burg Klempenow, 2014

„Der Mond im Schatten deiner Haut – Malerei und Handzeichnungen“
Ausstellung in der Burg Klempenow, 24.8. – 26.10.2014

Einführung von Dr. Katharina Uhl

Ute Gallmeister ist gebürtige Rostockerin. In Rostock studierte sie zunächst Grafik-Design an der Medienwerkstatt und dann von 1994 bis 2001 Malerei an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Dort war sie im Anschluss Meisterschülerin bei Max Görner. Während ihrer Ausbildung war Ute Gallmeister Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung. Danach bekam sie ein Arbeitsstipendium vom Land Mecklenburg-Vorpommern und dann – ebenfalls vom Land finanziert – ein Arbeitsstipendium für das Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop. Außerdem war sie auch in den USA Stipendiatin des Virgina Center for Creative Arts und der Edward F. Albee Foundation. Im Rahmen ihrer künstlerischen Arbeit reiste sie nach Fès in Marokko, nach Toulouse in Frankreich und 2013 nach Montauk/Long Island bei New York. Ute Gallmeister lebt und arbeitet in Anklam und Berlin. Und ich freue mich, dass Sie ihr Werk nun schon zum zweiten Mal hier auf der Burg Klempenow präsentiert.

Ausgangspunkt ihrer Arbeit
Bei einer netten Begegnung in Schwerin sagte mir Ute Gallmeister, dass der Entstehungsprozess ihrer Werke im Grunde ganz „klassisch“ sei, sie beruhen – im Sinne der klassischen Moderne – auf klassischen Methoden der Bildfindung.
Der Ausgangspunkt ihrer Gemälde und Grafiken ist die Natur, genauer: ihre natürliche Umgebung, Räume, Orte, Begegnungen, das spontane Erlebnis. Die visuelle Wahrnehmung und der sinnliche Eindruck des Neuen sind also der Anlass, in Beziehung zu einem Objekt oder einem Ort ihrer Lebenswelt zu treten, um dann ihre Eindrücke bildnerisch umzusetzen.
Als Vorlage oder vielleicht auch als Gedächtnisstütze dienen Ute Gallmeister Fotos, die sie von den jeweiligen Orten gemacht hat.

Farbklänge und innere Topographie
Doch geht es Gallmeister freilich nicht darum, nach der Natur zu malen. Es geht um weit mehr, als lediglich um die künstlerische Nachahmung eines Naturvorbildes. Vielmehr geht es ihr darum, die Empfindungen darzustellen, die mit dem optischen Sinnesreiz verbunden sind. Gesehenes vermischt sich hier mit Erfundenem. Man könnte auch sagen mit „Empfundenem“.
Es geht um die Vermittlung zwischen den Dingen und den Empfindungen, wobei die Farbe die zentrale Rolle spielt. Diese muss nicht zwangsläufig den Dingen entspringen, sondern kann auch Resultat eines „inneren Sehens“ sein.
Die Realisierung des Werkes wird so zum anspruchsvollen Prozess. Gallmeister selbst spricht von einem „Balanceakt“, bei dem zwischen dem sinnlichen Eindruck und dem inneren Empfinden vermittelt wird, mit dem Ziel, ein malerisches Ganzes entstehen zu lassen. Das übereinander Schichten, das Verwerfen und Überschreiben sind Bestandteil der komplexen Bildfindung und folgen nicht einer systematischen Konsequenz. Ute Gallmeister möchte, wie sie es selbst formulierte, die „Dinglichkeit“ aus den fotografisch festgehaltenen Vorbildern „herausnehmen“, um auf diese Weise die Eigengesetzlichkeit der Malerei zu betonen.
Dabei geht es ihr darum, Farbklänge zu finden. Ute Gallmeister beschreibt diesen Aspekt des „malerischen Komponierens“ in ihrer Arbeit so: „Zerstörungen, Übermalungen, Verwerfungen bilden einen längeren Prozess, bis das entstandene Gefüge von Farbflächen und Linien eine bestimmte Schwingung erreicht hat, die vielleicht mit Musik, mit Klangkompositionen vergleichbar sind.“
Und diese Form des „musikalischen Komponierens“ ist in Ute Gallmeisters künstlerischem Schaffen von großer Bedeutung. Sie formt aus der Farbe heraus und bevorzugt dabei verhaltene erdhafte Farben, Brauntöne, Blau und Rot in vielen Nuancen.
Ute Gallmeisters Bilder vermitteln einen Eindruck von entwickelter und ausgeglichener Einheit, Einfachheit und Leichtigkeit. Die Harmonie, die ihre Bilder ausstrahlen ist mit Kraft, Logik und Ausdruck gleichbedeutend. Paul Cezanne sagte zum Begriff der Harmonie:
Man muß sich so logisch wie möglich ausdrücken. […] Malen heißt eine Harmonie unter zahlreichen Bezügen herstellen, sie in ein eigenes Tonsystem übertragen, indem man sie nach dem Gesetz einer neuen und originären Logik entwickelt. […] Es gibt eine Farbenlogik, der Maler schuldet nur ihr Gehorsam. Niemals der Logik des Gehirns, wenn er sich der ergibt, ist er verloren. Immer der Logik der Augen.
In diesem Sinne fördern die Schichtungen und Zeichen in Ute Gallmeisters Werk eine Art „innere Topographie“ zu Tage, die in ihrer Logik und Ausdruckskraft für den Betrachter eine enorme Assoziationskraft besitzt.

Das Dialektische der Ebenen
Neben dieser „inneren Topographie“ der Wahrnehmung und des Empfindens verweisen die Schichtungen in ihren Bildern aber noch auf einen ganz anderen Aspekt, auf ein Moment des Dialektischen. Viele ihrer Arbeiten erwecken den Eindruck, als handele es sich eigentlich um zwei oder mehrere Bilder, die man wie Folien übereinander gelegt hat. Auf der einen Ebene füllen Farbflächen und -formen das Bild, darüber ziehen sich – mal fein, mal kräftig und farbig – lineare, grafische Gebilde wie Landmarken. Sie strukturieren das Bild und geben den flächigen Farbtönen einen eigenen Rhythmus.
Man könnte fast den Eindruck gewinnen, als handele es sich hier um zwei verschiedene Bilder, die auf je eigene Weise – mit eigener malerischer Technik und eigenem Gestus – einen Moment, eine Situation, einen Ort der Lebenswelt malerisch umsetzen, gleichsam einen je eigenen künstlerischen Blick auf die Wirklichkeit offenbaren.
Doch sind diese beiden Ebenen, die flächige und die grafische, stets auf einander bezogen, greifen gegenseitig Formen und Farbigkeit auf und fließen teilweise ineinander. Als Betrachter gleitet man also ständig von der Ebene der Farbflächen auf die Ebene der Linien und Striche und wieder zurück. Was auf diese Weise entsteht ist ein dialektisches Moment, ein künstlerischer Dialog zwischen zwei Bildebenen, der erst in seinem logischen Zusammenspiel den bereits erwähnten „Balanceakt“ zwischen dem sinnlichen Eindruck und dem inneren Empfinden für den Betrachter erfahrbar macht.

Raum und Abstraktion
Ute Gallmeisters Bilder vollführen aber auch in einer anderen Hinsicht einen „Balanceakt“, wenn es nämlich um die Spannung zwischen räumlicher und flächiger Darstellung geht, also zwischen Realismus und Abstraktion. Titel wie Landschaft bei Larbaut, Brüstung (Fez), Ausfahrt oder Interieur sind auch räumliche Beschreibungen. Und als Betrachter ist man stets versucht, in Gallmeisters Bildern auch eben dieses Räumliche zu suchen, einen Ort, eine Situation, eine Geometrie des Raums und seiner Objekte.
Das Spannende in ihren Bildern besteht somit nicht zuletzt darin, dass sie dem Betrachter Hinweise geben auf eine mögliche Struktur des Raums: Ecken, Kanten, Schatten, Licht, eine rudimentäre Perspektive von Vordergründigem und Hintergründigem. Es sind Raumfragmente, die dem Betrachter lediglich eine Ahnung von dem Ursprungsort, der Ursprungssituation, geben, die am Anfang ihrer Arbeit gestanden haben mag. Stattdessen öffnen Gallmeisters Bilder Assoziationsräume, die zwischen Flächigkeit und Räumlichkeit oszillieren – auch dies ein dialektisches Moment, ein Dialog zwischen Abstraktion und konkreter Darstellung, der in ihren Arbeiten stattfindet.

Licht und Kontemplation
Neben diesem Aspekt des Dialogischen, das sich in vielen von Ute Gallmeisters Bildern findet, zeichnet sich ihr Werk insgesamt auch durch ein Moment der Kontemplation aus, durch ein Innehalten und sich Versenken. Trotz der oftmals komplexen Strukturen und Gebilde scheinen Gallmeisters Bilder für das Betrachterauge stets ausgewogen, stimmig, in Balance zu sein, so dass man sich als Betrachter ganz in die Farbigkeit, in das Spiel von Hell und Dunkel, letztlich also in das harmonische Lichtspiel in Gallmeisters Bildern versenken möchte.
Und dies mag durchaus ein besonderer biografischer Aspekt in Ute Gallmeisters Werk sein. Als Künstlerin, die in Mecklenburg-Vorpommern geboren ist, die hier lebt und arbeitet und die nach eigenem Bekunden sehr von der Ostsee, der norddeutschen Landschaft und dem unverwechselbaren Licht in unseren Breitengraden geprägt ist, erschafft sie Bilder, die durchaus dieses Empfinden der norddeutschen Landschaft, also diesen Moment des Innehaltens und in Ruhe Kommens widerspiegeln. Auch wenn sie sich aufmacht, andere Länder und Orte zu erkunden, andere Menschen, eine andere Lebenswelt kennenzulernen und Eindrücke und Einflüsse von dort mit nach Hause bringt, so verwandelt sie diese Eindrücke in ihren Bildern in Kontemplationsräume, taucht sie in stimmige Farben, in beruhigendes Licht.
Und so freut es mich umso mehr, dass Ute Gallmeisters Bilder hier auf der Burg Klempenow an einem Ausstellungsort präsentiert werden, der eben diesem Moment der Kontemplation, des zu sich selbst Kommens und bei sich selbst seins, gerecht werden.

Gallmeisters Werk
Ute Gallmeister ist mit Ihrer Malerei einen ganz eigenen Weg gegangen. Sie widmet ihr künstlerisches Leben einem ständigen Suchen und Verwirklichen aus einem inneren Empfinden heraus. Ihre Themen sind die Natur ebenso wie die bebaute Umwelt, die Welt der Gegenstände ebenso wie die Welt des menschlichen Körpers. Illusionistische Räume und vordergründiger Realismus liegen ihr fern. Die zufällige Impression führt vielmehr zu einer Innenschau, die Werke von ganz besonderer Intensität entstehen lässt. Die Beziehung zwischen den Dingen, die Erarbeitung einer inneren Topographie ist es, was ihr Werk ausmacht. Man könnte auch sagen, es geht Ute Gallmeister ganz um die Substanz des Dargestellten und damit auch ganz elementar um die Kunst selbst… nämlich um das Sichtbarmachen des Unsichtbaren in den Dingen.
Und so bleibt mir zum Schluss nur noch, Ihnen viel Vergnügen beim Besuch dieser wunderbaren Ausstellung zu wünschen, erkunden Sie die Innere Topographie der Werke und lassen Sie sich auf die malerischen Farbklänge und das Dialogische in Ute Gallmeisters Bildern ein.

Dr. Katharina Uhl